Sonntag, 5. Juni 2011

Color up your life, by coloring down your pictures.

Weniger isst Meer!

Jedes Kind weiß: mehr ist mehr. Tausend Euro sind besser, als 20 Cent, eine Schwarzwälderkirschtorte ist besser als ein pappiges Milchbrötchen und eine Boeing 747 schindet eindeutig mehr Eindruck im heimischen Hangar, als der klapprige Golf 2, dem schon wieder die Dachantenne abgebrochen wurde.
Oft könnte man aber auch meinen: weniger ist mehr!
Designer zum Beispiel sind oft Meister des Weglassens. So wirken leere gekachelte Räume mit gigantischen Fensterfronten und einem einzelnen Stuhl einladender, als das logistisch fragwürdig zugestellte Wohnzimmer eines Messy-Opas. Oder zB wenn es um Zutaten für ein leckeres Essen geht, ist meist die Auswahl weniger hochwertiger Ingredienzien von mehr geschmacklichem Hochgenuss gekrönt, als das sinnfreie Volladen der Kochtöpfe mit allem, was der Kühlschrank so hergibt (zumal das Auge ja auch mitisst).
Oh, ein Beispiel fällt mir noch ein: denken wir einmal an die Masse der Passagiere in einem ICE von Hamburg nach München an einem sonnigen Sommer-Freitag nachmittag. Weniger ist hier nicht nur im Sinne von "mehr Raum", sondern auch gleichbedeutend mit dem Sauerstoffgehalt pro Atemzug zu verstehen.

Die Wissenschaft hat meistens immer recht.

Was stimmt denn jetzt? Weniger ist mehr, oder mehr ist mehr?
Halten wir jetzt diese beiden Philosophien gegeneinander, könnte schnell der Eindruck entstehen, wir Menschen benötigten nur eine Prise Geduld und Einfühlungsvermögen und die Welt würde im Glanze der Wenigkeit erstrahlen.
Ist das tatsächlich so?
Ich denke nein, denn im Grunde unserer Herzen sind wir doch alle richtig gern und leidenschaftlich maßlos und frönen voller Hingabe der Völlerei. So beweisen viele einfache psychologische Experimente, dass der Satz "mehr ist mehr" viel eher auf uns zutrifft, als das bescheidenere Äquivalent: zum Beispiel tendieren wir dazu lautere Musik, als die bessere zu bezeichnen, genauso wie wir den süßeren Kuchen, dem weniger süßen vorziehen, die hübschere Frau netter finden und auch den höheren Kontrast bzw. die satteren Farben eines Fotos uns suggerieren: das ist schöner!
Diese Tendenz machen sich, sogenannte "Profi-Fotoprogramme" (ich werde keine Namen nennen) zu Nutze, um uns unterschwellig vozugaukeln, dass wir ganz tolle Bilder gemacht haben. Die Rechnung ist simpel:

Foto rein -> viel Kontrast drauf -> viel Farbe rein = "Ooooh. Schöööön. Das habe ich gut gemacht."

Naja, ganz so einfach ist es dann doch nicht. Wir sollen ja nicht nur den Eindruck gewinnen, wir hätten tolle Fotos gemacht, sondern sollen auch unterschwellig denken: "Mit diesem Programm sehen meine Bilder besonders schön aus!". Diesen Effekt kann man ein wenig mit den gelben Lampen in der Obst- und Gemüseabteilung eines Supermarkts vergleichen. Diese gelben Lampen über den Lebensmitteln erhöhen den Farbkontrast und lassen alles im frischen und gesunden Licht erstrahlen. Dies speichert man unbewusst ab und ruft es sich beim nächsten Kauf wieder ins Gedächtnis. Und mittlerweile haben so ziemlich alle bekannten Supermärkte eben dieses Konzept für sich entdeckt und über jeder Obst- und Gemüseabteilung hängen nun gelbe Lampen.

Ist das Kunst, oder kann das weg?

Genauso verhält es sich mit den (Profi) Bildverwaltungsprogrammen wie Lightroom und Aperture (verdammt, jetzt hab ich's doch gesagt!).
Sie hängen nun nicht über Obst und Gemüse, aber beim Importieren der Bilder, selbst wenn sie im RAW Format geschossen sind, wird jedes einzelne automatisch Kontrastiert und die Farbe leicht übersättigt, damit die Bilder schön aussehen und man den Eindruck gewinnt: tooooll. Was auf einen Fotolaien noch positiv wirkt, ist für denjenigen der die Bilder weiterverarbeiten möchte, ein sehr großes Hindernis. Denn wenn uns nicht die Originalfarben und Kontraste zur Verfügung stehen, kann es zu einem späteren Zeitpunkt sehr schwierig werden, die Bilder für den Druck so vorzubereiten, dass sie in der Zeitung oder auf dem Flyer noch echt aussehen. Ich hatte einmal ein Shooting mit ein paar Leuten vom Arbeiter Samariter Bund und deren grellen roten und gelben Feuerwehrjacken. Es war fast unmöglich die Bilder für den Druck zu bearbeiten, obwohl ich im RAW-Modus fotografiert hatte und die Farbbearbeitung einem guten Kollegen einer bekannten lokalen Werbefirma überließ. Einfacher Grund war: ich habe nicht aufs Farbmanagement geachtet. Großer Fehler!

Endlich 18!

Wie die gesamte Menschheit weiß, benutzt man zum Farbfeintuning in der Digitalfotografie eine sogenannte Graukarte. Diese Teile heissen Graukarten, weil sie ganz einfach graue Karten sind. Das Grau ist nicht irgendein Grau sondern ein 18%iges, was in Etwa bedeutet, dass diese Helligkeit ca. 18% des Lichtes reflektiert. Früher dienten Graukarten zur Justierung des Belichtungsmessers, heute, also in der digitalen Fotografie, kalibrieren sie, sehr vereinfacht ausgedrückt, den Weißabgleich einer Kamera. Einen Schritt weiter geht dabei die sogenannte Farbgraukarte, die es ermöglicht bestimmte Farbstiche zu lokalisieren und so noch genauer zu arbeiten. Ich selber hatte jetzt die Möglichkeit, den Spydercube auszuprobieren. Bevor ich lang und breit erkläre, wie das Teil aussieht, hier mal ein Bild:
Die einzelnen Komponenten von oben nach unten im Schnelldurchlauf:
1. ne Schlaufe zum Aufhängen
2. ein silberner Ball zum erkennen von Spitzlichtern
3. 18%iges Grau
4. Weiß
5. Schwarz
6. Das Loch ist eine Lichtfalle
7. Stativanschluss.

Wie arbeitet man nun damit? Ganz einfach. Man positioniert Lampen und Motiv und fotografiert den Würfel einmal (motivnah) mit. Anschließend wird in einem Bildverwaltungsprogramm (wie Lightroom) das Bild mit dem Würfel richtig kalibriert und diese Kalibrierung auf alle anderen Bilder mit dem selben Lichtsetup angewandt...fertig. Klingt simpel, oder? Ist es auch! Bei einem meiner letzten Model-Shooting mit Nadine hatte ich also Gelegenheit das Teil auszuprobieren.

Vom Kontrastreich zum Kontrastarm in vier Schritten.

Hier mal ein Ergebnis des Shootings (übrigens war das mal wieder ein Shooting mit meinem guten Freund Michael. Hat Spaß gemacht!).
Es ist im Studio mit zwei Lampen entstanden. Das Objektiv war mein heißgeliebtes 85mm. Blende heute: f2.2 bei Iso 800 und 1/160. Auffällig an diesem Bild sind die leicht roten Haare. Mir war es sehr wichtig, es bei dem "leichten Rot" zu belassen. Oft fühlt man sich als Fotograf genötigt, die schon vorhandenen Dinge immer weiter zu betonen. Rote Haare enden dann meist mit einem Farbstich irgendwo zwischen Lava und Backstein. Das wollte ich nicht. Auch mit der restlichen Retusche habe ich mich zurückgehalten. Kein Make-Up Artist der Welt kann so gut kaschieren, wie das Computer-Programme schaffen, aber zum Einen war es nicht nötig, zum Anderen wollte ich es so puristisch wie nur möglich halten.

Ok, nun aber wieder zurück zum eigentlichen Thema: dem Farbmanagement in der Fotografie und dem kleinen Würfeldingens.

Wie arbeitet man damit?
Zunächst stellt man die Lampen so auf, und fotografiert das Motiv (in diesem Falle Nadine) mit Würfel in der Hand. Später importiert man dann die Bilder in sein Verwaltungstool und entdeckt dann...ach herrje:
Wie oben schon erwähnt möchte mich mein Programm davon überzeugen, dass meine Bilder mit ihm total super aussehen und hat super viel Kontrast und ordentlich Farbsättigung reingedreht! Ich fühle mich zwischen "Yipieeh" und "Würg!". Ich wahre die Höflichkeit.
Danke, das ist sehr nett von Dir, aber jetzt ist das so wie der hilfsbereite Obdachlose, der mir die Frotscheibe putzt und dann ein selbstverständlich Leckerli erwartet. Oder hat Euch in der Stadt schon mal jemand versucht ein Buch zu schenken? Zum Kotzen! ;)
Also als allererstes erstmal Kontrast raus:
Aaaah, schon besser. Jetzt ist nur noch das Problem, dass immer noch die Farben übersättigt sind. Zwar nicht stark, aber für diesen Test deutlich zu viel.
Also weg damit.









Na, das sieht schon neutraler aus. Ein kleiner Tipp: oft könnt ihr Euer Verwaltungsprogramm ganz einfach davon überzeugen, keine Farbveränderungen mehr vorzunehmen, in dem ihr das entsprechende Profil Euerer Kamera vorgebt. Und absolute Vorraussetzung für diese Sperenzien ist das Fotografieren in Raw!
Zum Schluss nun klicke man mit Hilfe des programmeigenen Farbfinders auf das dem Licht zugewandten Grau (in unserem Fall der linken grauen Seite)

Ahaaaa! Na...im Gegensatz zum ersten Bild sieht dieses hier wirklich eher harmlos aus, aber dafür kann man auf recht originale Farben vertrauen.
Super.
Nun kann man die Farbeinstellungen abspeichern und auf die anderen Bilder anwenden. Wenn man das Lichtsetup ändert, muss man natürlich dann wieder den Würfel fotografieren und die selbe Prozedur auf diese Serie dann anwenden.



Weil die Bilder immer etwas schwächlicher wirken, als man es durch die grundsätzlich heftige Kontrastierung gewohnt ist, sollte man diesen Teil des Workflows für sich behalten, sonst darf man sich doofe Sprüche anhören.

Der Würfel kann aber noch mehr. Mit ihm kann man Kontraste regeln (mit der schwarzen und der weißen Seite) und er hat, was ich für sehr nützlich halte, auch noch eine Lichtfalle (das schwarze Loch). Aber will man sich erstmal am Farbmanagement probieren, kann man auch anstelle der Würfels eine einfache Graukarte abfotografieren.

Ich wünsche Euch viel Spaß beim Ausprobieren.


@lex